Teils gute, teils schlechte Nachrichten aus Kyiv

Nach unserer vorsichtig formulierten Rückfrage gab es heute eine Antwort, teilweise beruhigend, teilweise auch mit einem beunruhigenden Inhalt. Wir wissen jetzt, wo der junge Mann ist. Glücklicherweise nicht in einem Kriegsgefangenenlager in der Ostukraine, sondern in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Kyiv. Das ist der gute Teil der Nachricht, er ist – soweit man das so sagen kann – in gewisser Sicherheit. Allerdings liegt die Hauptstadt unter Beschuß, es gibt Raketeneinschläge.
Mit Galgenhumor formuliert könnte man sagen, lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer sein.
Und ich lächelte und war froh und es kam schlimmer.
Schwer verletzt und künstlich beatmet

Sergei ist bewußtlos und schwer verletzt, er muß beatmet werden. So teilte es uns das Krankenhaus mit. Wie genau seine Verletzungen sind, das wissen wir noch nicht und haben deshalb um einen medizinischen Bericht gebeten. Sicherheitshalber haben wir einen Übersetzungsdienst eingeschaltet, um Missverständnisse zu verhindern. Und wir ziehen über uns bekannte Netzwerke und Behörden weitere Erkundigungen ein – immer in der Hoffnung, auf Wege zu stoßen wie wir dem jungen Mann helfen können.
Es muß furchtbar sein, als hilfloser und schwer verletzter Flüchtling in einem Krankenhaus zu sein, noch dazu aus einem Land kommend, dessen Nennung bei den allermeisten Ukrainern nur noch Hassgefühle auslösen wird. Und wir bauen dennoch auf Menschlichkeit, denn Sergei kann nichts für diesen Krieg, wollte diesen Krieg nicht, wollte nicht in diesem Krieg kämpfen, noch dazu für ein Land und Regime, das ihn selber ablehnt.
Aber Gefühle sind Gefühle, manchmal eben auch irrational begründet und der Situation geschuldet. Wer möchte es den Ukrainern verübeln, wenn sie einem Russen nicht eben mit freundschaftlichen Gefühlen begegnen? Und dennoch, man kann nicht das ganze Volk in Haftung für das Tun eines größenwahnsinnigen Kriegsverbrechers wie Wladimir Putin und seiner Schergen Sergei Lawrow bis hin zu Patriarch Kyril nehmen.
Selbst ertappe ich mich bei dem Gedanken, ja sogar bei dem Wunsch, eines Tages in den Nachrichten zu hören, dass die genannten Politiker und Kirchenführer sich entweder vor einem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten müssen oder – ja, ich gebe es zu – am besten direkt an der Kremlmauer gehängt oder erschossen werden. Ernsthaft.
Aber zurück zu Sergei.
Wie geht es weiter mit dem jungen Kriegsopfer?
Unter Umständen, sofern ein RTW mit Beatmung zur Verfügung stünde oder im günstigsten Fall eine Transportmöglichkeit via Flugzeug – könnte Sergei ausgeflogen werden. Achim Albers und ich recherchieren jetzt bei verschiedenen Stellen, Behörden und Krankenhäusern, wie das zu bewerkstelligen wäre. Sicher ist dass er nicht vor Ort bleiben kann. Die Ukrainer haben genug mit den eigenen Verletzten zu tun und werden froh sein, ihn loszuwerden – so bitter sich das anhört, so nachvolliehbar ist es.
Zurück nach Russland geht auch nicht, schon gar nicht in seinem Zustand. Nach Genesung wäre er wieder gezwungen, an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen. Unzumutbar, also läuft es darauf hinaus, dass er als Flüchtling eingestuft wird. Deutschland hilft der Ukraine auch auf dem humanitären Feld und wir hoffen, dass wir einen Weg finden, ihn aus dem Land zu holen. Aber erst müssen wir wissen, wie es um ihn genau bestellt ist und was die behandelnden Ärzte dazu sagen. Die entsprechenden Stellen sind eingeschaltet und die Kommunikation läuft.
Kannste Dir nicht vorstellen. Ein Anruf: „Sind Sie das Arschloch, das diesen scheiß Schwuchtel-Russen…?“
Den Rest geb ich nicht wieder, das würde vsl. zu einer Facebook-Sperre führen.
Wenn nicht die Menschlichkeit siegt, wo immer das geht, dann ist der ganze Krieg verloren.